Kinder- und Jugendpastoral geschieht immer über persönliche Beziehungen. Beziehungen sind aber nicht einfach da, sondern werden immer wieder gestaltet. Diese Gestaltung passiert verbal und nonverbal mit Gesten, Körpersprache und Berührungen, sei es nur im Begrüßen oder beispielsweise beim Spielen. Der Aufbau von gesunden und förderlichen Beziehungen zu Kindern und Jugendlichen ist ein wesentlicher Grundstein allen pastoralen Handelns. Mit der Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei machen“ will die katholische Kirche Österreich ihren Beitrag leisten, um das entsprechende Umfeld für eine solche Beziehungsarbeit zu schaffen und Missbrauch und Gewalt einen Riegel vorzuschieben.
Durch die verschiedensten Settings in der Firmvorbereitung ist es erforderlich, sich über das Thema Gewaltprävention sowie Nähe und Distanz Gedanken zu machen.
Es können Situationen auftreten, wo man unsicher ist, wie man handeln soll, wenn Jugendliche sich beispielsweise unwohl fühlen.
Daher gilt es, sich im Vorhinein gut Gedanken zu machen, wie die Vorbereitung gestaltet werden soll, und welche Handlungen bei Vorkommnissen gesetzt werden sollen.
Bei jeglichen Unsicherheiten von Situationen ist es hilfreich, andere Vertrauenspersonen hinzuzuziehen. Die Rahmenordnung sieht außerdem vor, dass jeder Vorfall zu melden ist.
Damit man in einer Krisensituation handlungsfähig bleibt, ist es förderlich ein Gewaltschutzkonzept zu erstellen, in dem mögliche Risiken vorab identifiziert werden können und Maßnahmen festgelegt, wie man diesen Risiken begegnen kann. Als Firmbegleiter*in lohnt es sich dabei mit den verantwortlichen Personen in der Pfarre/in der Seelsorgeeinheit zu sprechen, denn viele Pfarren beziehungsweise Seelsorgeeinheiten haben bereits ein entsprechendes Schutzkonzept erstellt oder befinden sich in der Ausarbeitungsphase.
Wichtig ist, dass man sich niemals allein gelassen fühlen muss und keine Scheu haben darf, professionelle Hilfe anzunehmen. Gerade dann, wenn man ein komisches oder ungewohntes Bauchgefühl in Situationen hat, ist es immer hilfreich mit anderen vertraulich darüber zu reden. Wenn man in seinem eigenen Team niemand hat, dann gibt es sehr gute Beratungsstellen, die man immer kontaktieren kann.
Beratungsstellen
Die jeweiligen Ansprechpersonen aus den Diözesen:
ombudsstellen.at/praeventionsstellen (öffnet in neuem Tab)
Kinder- und Jugendanwaltschaft
kja.at (öffnet in neuem Tab)
Selbstlaut – Verein zur Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch
selbstlaut.org (öffnet in neuem Tab)
Tamar Beratungsstelle
tamar.at (öffnet in neuem Tab)
Achtsamkeit – die richtige Dosis von Nähe und Distanz
Manchmal erleben wir zu viel Nähe als belastend. Wir fühlen richtiggehend Abneigung gegen zu viel Nähe in bestimmten Situationen von bestimmten Personen. Und umgekehrt sehnen wir uns manchmal nach mehr Nähe, um Freude, Trost, Geborgenheit oder Anerkennung auszudrücken.
Gerade in der Kinder- und Jugendpastoral ist dies ein besonders sensibles Thema, da oft unterschiedliche Bedürfnisse aufeinanderstoßen. Gefragt ist daher die richtige »Dosis« von Nähe bzw. Distanz in der Arbeit mit Jugendlichen. Das richtige Gleichgewicht zwischen den eigenen Bedürfnissen (z.B. nach Nähe als Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung) und dem Dasein für andere (z.B. als Jugendleiter*in) muss gefunden werden. Um mit meinen eigenen Grenzen und mit meinen Bedürfnissen nach Nähe und Distanz gut umgehen zu können, muss ich darauf schauen, was gerade gut, nötig und verkraftbar für mich selbst, aber auch für die Jugendlichen ist. Eine Haltung der Wertschätzung und des Respekts vor den Grenzen der mir anvertrauten Jugendlichen ist gefragt, um ihre Entfaltung begleiten und unterstützen zu können.
Probleme wahrnehmen und ansprechen
Es tut gut und ist wichtig, Probleme wahrzunehmen, anzusprechen (andere Leute darauf hinzuweisen) und sich auch Beratung oder Unterstützung zu holen. Menschen, die in ihrer Freizeit oder beruflich mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, stellt sich vermehrt die Frage, wo genau die persönlichen (seelischen und körperlichen) Grenzen im Kontakt mit Kindern und Jugendlichen liegen.
Wie tröste ich z.B. eine*n Jugendliche*n, wenn er*sie Liebeskummer oder Ärger mit den Eltern hat, sich mit der schlechten Schularbeitsnote nicht mehr nach Hause traut. Ist es gut, ihm*ihr den Arm um die Schulter zu legen und/oder an sich zu drücken? Wie setze ich Spiele und Methoden ein, die mit Berührungen verbunden sind? Darf ich als Betreuerin ins Burschenzimmer beziehungsweise als Betreuer ins Mädchenzimmer? Wie gehe ich damit um, wenn ein*e Jugendliche*r sehr anhänglich ist? Wie gehe ich damit um, wenn sich ein*e Jugendliche*r in mich »verliebt«? Auf viele dieser Fragen gibt es keine allgemein gültigen Antworten, sie müssen im gemeinsamen Überlegen für die jeweiligen Situationen und Personen gefunden werden.
Offener und behutsamer Umgang
Die Sensibilisierung zu den Themen »Nähe – Distanz« bzw. »Sexueller Missbrauch« kann auch verunsichern. Die Beschäftigung mit dem Thema „Verantwortungsvoller Umgang mit Macht und (sexualisierter) Gewalt, sei es durch die persönliche Beschäftigung mit meinen eigenen Bedürfnissen, durch das Hineindenken und Hineinfühlen in die Situation und in die Bedürfnisse der Jugendlichen, durch den Austausch mit anderen Gruppenleiter*innen über ihre Erfahrungen in der Jugendarbeit oder durch Weiterbildungen, will Sicherheit im Umgang mit Kindern und Jugendlichen geben. Eine ausführliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema macht in »sensiblen« Situationen sicherer. Dazu kann auch Hilfe von außen in Anspruch genommen werden, selbstreflexiv die eigene Arbeit beobachtet und sich Feedback von anderen geholt werden.
Von Grenzverletzungen zu sexueller Gewalt
Grenzverletzungen
Alle Verhaltensweisen, welche die persönliche Grenze einer anderen Person überschreiten, sind Grenzverletzungen. Die Bewertung, ob es eine Grenzüberschreitung war, unterliegt nicht nur objektiven Faktoren sondern auch dem subjektiven Empfinden der verletzten Person. Grenzverletzungen können auf der psychischen und/oder physischen Ebene stattfinden, dazu zählen zufällige und unabsichtliche Handlungen, die leicht korrigierbar sind z.B.: einmalige/gelegentliche Missachtung der körperlichen Distanz und/oder des respektvollen Umgangsstils. Ebenso zählen unangemessene Interventionen dazu: z.B. Bagatellisierung von Fehlverhalten, Leugnung einer Verantwortlichkeit u.a.
Aus persönlichen und/oder fachlichen Defiziten kann es innerhalb einer Gemeinschaft (Schule, Pfarre, Verein) zu einer „Kultur der Grenzverletzungen“ kommen, die unter einer fachlichen Anleitung grundsätzlich vermeid- und korrigierbar sind. Das Risiko einer verletzenden „Kultur“ ist besonders groß, wenn
- ein unklarer Umgang mit Grenzverletzungen durch die Leitung besteht.
- die Achtung der Rechte einzelner nicht in einem Leitbild verankert ist.
- klare Regeln und ein transparentes Beschwerdemanagement fehlen
- persönliche Reife und fachliche Qualifikation der Mitarbeiter*innen fehlen.
Übergriffe
Im Unterschied zu Grenzverletzungen passieren Übergriffe absichtlich und entweder einmalig oder wiederholt.
Übergriffige Menschen missachten die verbale und/oder nonverbale (abwehrende) Reaktion der betroffenen Person und die Kritik Dritter am grenzverletzenden Verhalten. Übergriffige Täter*innen übernehmen nur unzureichend die Verantwortung für ihr grenzverletzendes Handeln. Ebenso werten sie die Betroffenen der Übergriffe und/oder Zeugen, die sie auf ihr Verhalten ansprechen bzw. Hilfe von Dritten holen, ab.
- psychische Übergriffe: z.B. verbale Gewalt (Demütigungen, rassistische Abwertungen); Menschen als „seelischen Mülleimer“ für eigenen Probleme benutzen; Drohungen, Ängstigen, Geheimhaltungsgebote, Ignorieren, Anschweigen, Isolieren…
- Körperliche Übergriffe/Gewalt: Körperkontakte, die Ausdruck von Aggression sind und körperlich verletzen/ängstigen (Kopfnüsse, Schwitzkasten halten)
- Sexuelle Übergriffe ohne Körperkontakt: z.B. sexistische Bemerkungen, Missachtung des Rechts auf Intimität bei der Körperpflege (z.B. beim Duschen); sexistische Spielanleitungen
- Sexuelle Übergriffe mit Körperkontakt: z.B. grenzüberschreitende, körperliche Nähe, Austausch von Zärtlichkeiten, Aufforderung zu Spielen, wo Körperkontakt abverlangt wird.
Übergriffige Verhaltensweisen sind Ausdruck einer respektlosen Haltung. In vielen Fällen gehören sexuelle, psychische und körperliche Übergriffe zur strategischen Vorbereitung einer strafrechtlich relevanten sexuellen Gewalt. Daher ist es sinnvoll, beobachtete Übergriffe zu dokumentieren!
Sexueller Missbrauch
„Sexueller Missbrauch ist eine nicht zufällige, bewusste, psychische und physische Schädigung, die zu Verletzungen, Entwicklungshemmungen oder sogar bis zum Tode führt und die das Wohl und die Rechte des Mädchens/ Buben beeinträchtigt.“ (Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich „Die Wahrheit wird euch frei machen“ 2. Aufl. 2016, S.19)
Bei einem sexuellen Missbrauch führt ein*e Erwachsene*r oder ältere*r Jugendliche*r absichtlich Situationen herbei, plant sie bzw. missbraucht seine*ihre Autoritäts- und/oder Vertrauensposition, um sich sexuell zu befriedigen, Macht und Stärke zu erleben. Sexueller Missbrauch beginnt oft mit Streicheln, „harmlosen Kitzelspielen“, Berühren und Berührenlassen im Geschlechtsbereich, dem Betrachten von Pornografie (Hefte, Filme, Internet) usw. Er findet im Geheimen statt, auf die Betroffenen wird dabei massiver Druck ausgeübt. Die Intensität der Handlungen kann sich im Lauf der Zeit steigern und je nach Nähe zwischen Täter*in und der betroffenen Person verändern. (Zum Missbrauchszyklus siehe auch die Ausführungen in der Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei machen, 2016, S. 20f.)
Links
Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei machen“ ombudsstellen.at (öffnet in neuem Tab)
Behelf „Mein sicherer Ort“ ombudsstellen.at (öffnet in neuem Tab)